Geschrieben für das Musenknutsch Festival vom 1.-3.09.2017 auf dem Bauwagenplatz Klabauta in Darmstadt-Kranichstein. In Darmstadt gibt es vier Bauwagenplätze, Klabauta, Cassiopeia, Diogenes und Babayaga. Zwei dieser Namen sind in dem Text aufgenommen worden.

Im Zeichen des Klabautermanns

Erbarmungslos dreht das Rad sich aus Arbeit, Lohn, Konsum. Dein Konsum ist die Arbeit anderer, die Zähne greifen ineinander. Sie werden belohnt dank deiner Belohnung. Denn du gehörst dazu, und sie gehören dazu. Und weil jetzt doch alle, alle dazugehören, sind sie gut. Doch immer passen sie auf, ob doch alle dazugehören, und Zähne sind im Rad. Denn das ist gut.

Arbeit, Lohn, Konsum. Das gehört alles zusammen, dieses Rad, das ist die Welt. Das sind ihre Zähne. Mit ihnen, mit euch allen, frisst sie das All. WILL SIE. Oh, welche Hybris, denn das weiß die Welt nicht, das will die Welt nicht wissen. Die Welt ist doch im All, das All ist Umwelt — um die Welt, da ist das All.

Es gibt immer ein Morgen, du wirst da arbeiten, aber wenn nicht, dann wirst du da konsumieren, und sie arbeiten für dich. Und du arbeitest für sie. Doch Kassiopeia zeigt den Weg dem Klabauter. Gerade die eitle Kassiopeia, Gemahlin des schönen, schwarzen Kepheus, Mutter der Andromeda. Sie ist eine Hoffnung der Liebe. Ihre fünf glitzernden Sterne kennt der Klabauter. Unter dem freien Firmament, wenn Lagerfeuer Funkenströme sprühen, singt der Klabauter den Terra-Nauten Kassiopeias Lied.

Die von Kassiopeia hören, sie sind keine Zähne. Das Rad will auch sie fressen, weil es doch das All, und alles, was nicht es ist, frisst. Bauwagen beschützen die Terra-Nauten. Hütten auf Rädern, in denen Zähne zum Bauen ihre Stullen aßen. Jetzt bauen die Terra-Nauten aus ihnen ihre Träume. Aus ihnen heraus werden die Träume gemacht. Der Klabauter kennt sie alle. Er sammelt sie des Nachts von den Bauwagentreppen. Auf und ab. Auf und ab geht er die Wege und singt die Träume Kassiopeia.

So scheint Kassiopeia zurück. Das kühle Licht der Sterne strahlt warm in die Gemüter der Terra-Nauten. Sie legen Holz in ihre Feuer. Ihre Glut, die ist nicht fern. Es strahlt heiß die Flamme, Rauch und Licht werden zu Asche. Das Feuer frisst, ohne zu fragen. Wir trinken, wir tanzen, wir singen. Eure Zähne stecken in unserem Fleisch.

Und dann gehen wir nach Frankfurt, und dann gehen wir nach Hamburg, und wir gingen auch nach Berlin. Ja, ruft uns nur nach Berlin: Wir kommen! Wir gehen. Wir sind Nomaden, wie Roma, wie Sinti. Darum haben unsere Bauwagen auch Räder. Darum sind wir Terra-Nauten: Die Seefahrer der Erde. Ihr sprüht Capsaicin, wir trinken Pfeffis von den Zähnen. Und die Räder unserer Bauwagen, sie drehen sich im Traum. Und das Rad — Arbeit, Lohn, Konsum — das dreht die Welt. Das ist die Welt.

Wir suchen aus. Alle sind willkommen. Vom Zahnradzahn zum Terra-Nauten gibt es kaum einen wissenschaftlich signifikanten Übergang. Beides mag im Menschen schlummern. Doch ohne Räder unter dem Boden kann der Mensch ein Terra-Naut nicht sein. Und wie denn soll, stelle es dir doch vor, der kleine Klabauter, wie kann er Träume finden ohne Bauwagentreppe? Kassiopeia hört die Lieder von den Zähnen nicht.

Da liegt ein Mensch und weint. Wenn es Nacht wird in der Stadt. Da liegt ein Mensch und hat keine Tränen mehr, wenn Bacchussaft sein Blut ausgewechselt hat, mit Alkohol für Tränen. Wie kann der Klabauter so etwas zulassen? Ihr Narren! Nur Arbeit rettet diese Menschen. Der Klabauter ist kein Engel. Die Kassiopeia ist keine Göttin. Nur Arbeit, Lohn, Konsum drehen diese Welt. Drehen sich so schnell, dass die Menschen herausgeschleudert werden und dann liegen sie da. Da liegt ein Mensch und weint.

Umso behutsamer ist der Klabauter. Denn wo Kassiopeia Hoffnung ist der Liebe, da gibt er nicht auf. Bunt sind die Träume der Terra-Nauten im ewigen Provisorium. Stelle dir vor, wie ein großer Zahn, eine Milliardärin, ein Haus bauen will aus Glas und Beton. Sie bestellt den Architekten. Die Arbeiter ziehen an die Baustelle heran. Da schuftet ein Mensch. In der Pause isst der Zahn seine Stulle im Bauwagen.

So wie der Baggerführer, der Kranführer, der Baustellenleiter, der Maurer, Elektriker, Glaser ein Haus baut, 500 Meter hoch, so baut der Terra-Naut seine Träume. Es ist das selbe Schaffen seit Menschengedenken. Wenn jemand seine Liebe hat, seine Lieben hat, was braucht er dann noch? Was soll sich mehren? Was verringern?

Manchmal kommt auch der Klabauter sich vor wie ein Zahn in einem Zahnrad. Dann ist er traurig. Besonders, wenn die Kleine, die süßeste Hündin vom ganzen Platz wieder einmal arglos an ihm vorbei streift, ohne ihn zu sehen. Das Los eines Klabautermanns ist seine Unsichtbarkeit. Wie Sisyphos den Stein unendlich oft in der Wiederholung Zahl hinauf rollen muss den Berg, so sammelt der Klabauter der Terra-Nauten Träume und singt sie Kassiopeia.

Ihr Terra-Nauten, die ihr von der Arbeit des Klabauters gar nicht wisst, ihr könnt ihn nicht belohnen. Der Klabauter will nicht konsumieren. Arbeit, Lohn, Konsum sind ihm gleich gültig. Denn der Klabauter hat seinen Zweck. Wer hat schon einen Zweck? Jemand mit einem Zweck kann sich glücklich schätzen. Das wissen auch sie, die dazugehören. Sie glauben ja gerade, dass sie mit ihrem Selbstzweck den Zweck für andere erfüllen. Ihr Lohn, ihre Belohnung, wird zum Lohn, zur Belohnung der Anderen. Darum gehören sie dazu, darum sind sie gut. Doch ihr Terra-Nauten träumt. Dank des Klabauters scheint euch Kassiopeia kühles Sternelicht in die Gemüter.

Und obwohl der Klabauter manchmal unglücklich ist, ob seines systemintegrierten Zustands, ist sein Wesen von All-großer Harmonie. Arbeit, Lohn und Konsum zu sein, jederzeit gleichzeitig als Zweck, befriedigt den Klabauter wie Fesseln die Bondage-Fetischistin. Er ist gefesselt, damit die Terra-Nauten frei sein können. Freiheit für ihre Träume. Auf rädernen Schiffen bleiben sie zusammen. Im Plenum halten sie zusammen. In der Kneipe kommen sie zusammen. Wir sind geboren, um frei zu sein. Wir sind keine Zähne, wir sind nicht allein.

Wir fahren auf Baurädern richtung nirgends durch die Nacht. Das sind die Träume, deren Licht von Kassiopeia scheint. Und schon gibt es Streit unter den Bienen. Da ist sie, die Königin. Das ist doch klar. Das ist doch Gesetz. Die Bienenschar, die Drohnen, sie sammeln. Selbst den Honig bekommt der Klabauter nicht zum Genuss. Die Arbeit der Bienen gehört ihm nicht. Das Spielen der Kinder gehört niemandem. Dein Leben gehört dem Zahnrad oder den Träumen.

Suchen nach Liebe
Du bringst das mit auf den Platz
Unter den Sternen
Kassiopeia
Der Klabauter ist der Klabautermann
Du gehst den Weg
Chaotisch, nie fertig, immer im Provisorium
Du baust
Der Bauwagen, Behilfsmittel zum Bauen von Häusern
Wohnen
Architektur
Das sind Pläne, Pläne der Pläne

Da bist du, hast alles beianander, alles bei dir. Das Wasser, das Licht, das Feuer.
Das Provisorium
Wo sind unsere Spiegel?
Der Weg ist so rauh.
Zivilisation baut eine Straße, Gleise, Licht und Gesetze

Du bist arm, du bist Arbeit, doch keiner ist reich.
Millionen Sterne erzählen Geschichten um Kassiopaia, die der Klabautermann weiß.
Der Klabauter ist dein Kind
In dir und dort.
Chaotisch singt er deine Träume
Nie fertig
Immer im Provisorium